Unter den Reben

Unter den Reben

„Bitte, nimm den Auftrag nicht an“, flehte mein Bruder beinahe und sah mich aus seinen eisblauen Augen an.

Ich hatte mir eine andere Reaktion erhofft, als ich ihm von meiner Möglichkeit, Geld dazuzuverdienen, erzählte.

„Warum? Ich zahle für den Stellplatz. Der Bagger hat noch nichts erwirtschaftet. Du weißt, wie dringend ich das Geld brauche.“

„Weil …“ Benni stockte. „… du da nicht graben kannst.“

„Hast du an der Stelle was Illegales vergraben, oder was?“, fragte ich scherzhaft und boxte ihm gegen die Schulter. Mein Bruder war seit jeher der geheimniskrämerische von uns beiden gewesen. Zu Jugendzeiten hatte er sich im Hintergrund gehalten, aber immer die gleichen loyalen Freunde im Dorf um sich gehabt. Heute ist Nordheim nach wie vor sein und auch mein Zuhause.

Benni war in Vaters Fußstapfen getreten als Winzer und wollte das von ihm übernommene Weingut vergrößern. Bisher schlug er sich gut. Ich für meinen Teil war dabei, mich mit Abbrucharbeiten selbstständig zu machen. Derzeit sah es allerdings aus, als würde ich bei Bauprojekten die vorbereitenden Arbeiten übernehmen. Auch das sollte mir genügen. Hauptsache, mein Bagger machte sich bezahlt und ich konnte meinen Betrieb in den nächsten Jahren vergrößern.

„Jetzt sag schon, warum kann ich da keine Erdarbeiten vornehmen?“

Mein Bruder zögerte weiterhin und schaute sich um. Er runzelte die Stirn, wodurch die Zornesfalten darauf tiefer wurden. Wir standen an der Straße vor seinem Hof, in dessen Erdgeschoss bis vor Kurzem unsere Eltern gewohnt hatten. Sie waren wegen eines Betriebsunfalls meines Vaters in eine ebenerdige Wohnung nach Volkach gezogen. Dieser hatte bei einem Wendemanöver mit dem Gabelstapler eine Palette im Höhenregal umgestoßen. Die Kollision warf meinen Vater samt seinem Transportmittel auf die Seite. Dabei hatte er sich an mehreren Rückenwirbeln Verletzungen zugezogen, wegen denen er täglich starke Scherzmittel nehmen musste.

„Lass uns reingehen“, schlug er vor, ohne mich anzuschauen, und ging auf direktem Weg zum hölzernen Vorbau. Ich musste mich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten.

Der Schlüsselbund klimperte er, als er die Tür aufschloss. Kurz darauf stieß er mit seiner muskulösen Hand, die einer Pranke glich, die Tür auf. Benni ging nach drinnen. Ich folgte ihm und schloss die Tür mit genau dem richtigen Schwung, um sie sanft ins Schloss gleiten zu lassen. Einige Dinge verlernt man nie.

Im Flur unseres Elternhauses blieb mein Bruder stehen. Die hellen Fliesen wirkten dunkel, da das einzige Tageslicht durch die matte, in die Haustür eingelassene Scheibe drang.

Wir sahen uns an, und zum ersten Mal stellte ich fest, wie still es in dem Flur sein konnte. Ich wartete auf eine Antwort.

„Nicht direkt“, murmelte Benni, strich sich mit der Hand durch seinen Dreitagebart und rieb sich anschließend den Nacken. Er sah blass aus unter seinem braunen widerspenstigen Haarschopf.

„Wie jetzt? Mann, jetzt lass die Katze aus dem Sack! Ich habe nicht ewig Zeit. Morgen früh hole ich die Maschine.“

„Okay, pass auf.“ Er vergewisserte sich, dass ich die Tür zugezogen hatte und begann.

„Ich erzähle dir nur das Nötigste … Erinnerst du dich daran, als die Polizei nach diesem vermissten serbischen Erntehelfer gesucht hat? Der war bei den Steiners angestellt.“

„Das ist fast ein halbes Jahr her. Aber ja, der Typ hat sich im Voraus bezahlen lassen und ist dann einfach nicht erschienen? Ich glaube, der ist untergetaucht“, sprach ich meine Vermutung aus.

Benni rang seine Hände und blickte auf seine Füße. Es war ihm deutlich anzusehen, wie unwohl er sich fühlte. Schließlich sagte er: „Ich habe damals doch einen neuen Gärbehälter samt Apparaturen gekauft … Eines Nachts musste ich aufs Klo und sah Licht durch die Plastikverkleidung der Halle schimmern. Wenig später hörte ich ein Rumpeln. Wegen all der Neuanschaffungen war ich sowieso schon paranoid. Ich machte mir Sorgen, dass Diebe am Werk waren. Also legte ich mich mit der großen Stabtaschenlampe vor die Werkstatt auf die Lauer. Irgendwann kam jemand raus, und ich zog ihm eine über. Er blieb daraufhin regungslos am Boden liegen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn so heftig erwischt hatte …“

„Ach du Scheiße! Der hat nicht mehr gelebt?“

„Nee.“

Ich zog scharf den Atem ein und lehnte mich gegen das Treppengeländer neben mir. Sein Metall gab mit einem Quietschen etwas nach und erinnerte mich an meine Gewichtszunahme, gegen die ich dringend etwas unternehmen musste.

„Warum hast du keine Hilfe geholt?“

„Ich konnte ihn noch in der gleichen Nacht selbst wegbringen.“

„So meinte ich das nicht, Mann! Warum hast du nicht die Polizei verständigt?“

„Das ging nicht. Würde ich wieder auffällig werden, kriege ich niemals das anteilige Sorgerecht für Melissa.“

Bennis Tochter Melissa war bei der Trennung von seiner Ex mit zu dieser gezogen. Da mein Bruder bei Auseinandersetzungen mit seiner damaligen Partnerin nicht sehr zaghaft gewesen war, durfte er für die nächsten Jahre weder sie noch die gemeinsame Tochter treffen.

„Alter, ist das dein Ernst? Du willst nicht, dass ich grabe, weil du einen Menschen getötet und verbuddelt hast?“

Benni verzog das Gesicht.

„Ich hatte keine Wahl! Ich will, dass Melissa in Sommerach in die Grundschule geht. Das ist in drei Jahren. Bitte, Mark, verrate mich nicht. Ich sehe sonst die Kleine nie wieder!“

„Ich brauche was zu trinken und zwar was Starkes“, sagte ich.

Mein älterer Bruder tat mir den Gefallen, führte mich in die Küche und setzte mir dort einen Quittenbrand vor. Ich ließ mich auf einen der Stühle um den Küchentisch plumpsen und kippte den Schnaps hinunter. Er half mir dabei, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Du hast zwei Tage Zeit, um dich zu stellen. Wenn ich die Erdarbeiten nicht mache, wird sie jemand anderes übernehmen. Du musst zur Polizei gehen. Das wirkt sich mildernd auf dein Strafmaß aus.“

Benni sah aus, als hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen.

„Du willst deinen eigenen Bruder verraten?“

Versuchte er, mir ein schlechtes Gewissen einzureden?

„Nein, ich werde dich nicht verraten. Aber andernfalls wird es nicht lange dauern, bis die Polizei an deine Tür klopft und dich befragt. Immerhin wohnst du nur zwei Parallelstraßen weiter. Wie sicher bist du dir, dass du bei der … Entsorgung nicht gesehen wurdest?“

Ich spielte die verschiedenen Szenarien im Kopf durch. Dabei fummelte ich an den Spitzen der weißen steifen Häkeltischdecke, die unsere Mutter dagelassen hatte. Was sie wohl sagen würde, wenn sie dieses Gespräch hören könnte? Ob Benni auch an sie gedacht hatte?

„Ich bin mit der Schubkarre an den Häusern vorbeigelaufen. Zu dem Zeitpunkt war auf dem Grundstück die Erde stellenweise aufgelockert durch die Entnahme der Bodenproben. Ein Mann war auf dem Nachbargrundstück draußen zum Rauchen und hat vielleicht eins und eins zusammengezählt.“

Dass Benni die Aktion damals so unüberlegt durchgeführt hatte, musste an seinem Schock gelegen haben. Anders konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären.

Ich hatte genug gehört und musste aus der Küche raus.

„Du hast zwei Tage Zeit. So lange kann ich die großen Arbeiten hinauszögern.“ Ich stand auf. Mein Bruder tat es mir gleich. Er hatte mittlerweile Tränen in den Augen.

„Nein, nein, nein! Das kann doch nicht wahr sein!“, sagte er kopfschüttelnd, hob seine Hände und raufte sich die Haare. Dann kam er zu mir und packte meinen Arm. „Bitte, Mark, lass uns noch mal überlegen, was wir sonst machen können. Vielleicht ausgraben?“

„Irgendwo in Serbien vermissen eine Mutter, eine Ehefrau und vielleicht sogar Kinder ihren Angehörigen, der nach Deutschland gekommen ist, um Geld zu verdienen. Geh zur Polizei und stell dich. Dann hat seine Familie wenigstens Gewissheit.“

Mit diesen Worten befreite ich mich aus seinem Griff und lief zur Haustür. Draußen angekommen setzte ich mich in mein Auto und fuhr den knappen Kilometer zu mir nach Hause.

Mein großer Bruder saß dieses Mal richtig in der Scheiße. Ich fühlte mich hundsmiserabel, ihn zusätzlich unter Druck zu setzen, und wünschte, ich könnte das Gespräch ungeschehen machen. Ein kleiner Teil von mir hoffte, er würde die Leiche ausgraben und anderswo verschwinden lassen.

 

Als ich am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen aufwachte, prasselten die Erinnerungen vom Vortag auf mich ein. Auch ein Blick aus dem Fenster auf die königlich anmutende Vogelsburg oberhalb Nordheims lenkte mich nicht ab. Dasselbe traf auf das Brummen des Verkehrs auf der Straße vor meinem Haus zu. Touristen in Reisebussen sowie Vollernter und Traktoren mit Anhängern machten den Herbst zur Hochsaison.

Die Weinlese war in vollem Gange, und im Dorf ging es zu wie in einem Ameisenhaufen.

Ich drehte mich zu meiner noch schlafenden Freundin um und fragte mich, was sie sagen würde, wenn sie über die Tat meines Bruders Bescheid wüsste. Bestimmt würde sie mir ins Gewissen reden, ihm bei der Beseitigung der Leiche zu helfen.

Ich wog ab, ob ich ihr von meiner misslichen Lage erzählen sollte, und beschloss letzten Endes zu schweigen. Unwissenheit würde ein Segen für sie sein. Da war ich mir sicher.

Plötzlich brummte mein Handy auf dem Nachttisch. Ich warf einen Blick auf das Display. Ein kleines Banner zeigte mir eine SMS vom Stellplatzvermieter in Volkach an. Dieser stand nun am Gelände zum Aufsperren des Tors. Als ich das Gerät bereits in der Hand hatte, bemerkte ich mehrere von mir verpasste Anrufe und verzweifelte Nachrichten meines Bruders, die so ähnlich klangen wie die letzte: „Bitte, Mark, Mama würde mir das nie verzeihen.“

Immerhin dachte er auch an sie. Ich hielt einen Moment inne, bis das Display sich abdunkelte und mir mein nachdenklich dreinblickendes Selbst entgegenstarrte. Meine dunkelblonden Haare, die mir bis knapp unter die Ohren reichten, waren verwuschelt, und meine dunkelbraunen Augen lenkten von meiner Narbe unter meiner Nase ab. Diese hatte ich mir zugezogen, als ich meinen eingeklemmten Vater am Tage seines Unfalls unter dem Gabelstapler hervorgezogen hatte.

Schnell in die Dusche, bevor die Erinnerung weiter Gestalt annimmt, dachte ich.

Als ich gegen Mittag mit dem Bagger zum Baugrundstück fuhr, war der Bauherr noch nicht da. Ich blieb in meinem Gefährt sitzen und überblickte den Platz. Es handelte sich um Baugrund am Dorfrand von Nordheim an einer wenig befahrenen Straße in einer sonst ruhigen Nachbarschaft.

Gegenüber war ein freies Feld, und dahinter floss der Main durch die idyllische Landschaft. Die Hälfte des Grundstücks war mit Rebzeilen bepflanzt. Der Rest der Fläche stand leer und war eben. Zwischen den Weinstöcken hatte ich vor einigen Tagen eine ovale, etwa zwei Meter lange Stelle entdeckt, an welcher die Erde frischer als die übrige ausgesehen hatte. Nun, da ich wusste, was geschehen war, stellte ich mir die Frage, ob das das Grab war?

Ein Schauder lief mir über den Rücken. Ich steuerte meine Maschine auf den Platz und schaltete den Motor aus, um mir einen weiteren Moment der Ruhe zu gönnen.

Meine Hände, auf dem Lenkrad ruhend, zitterten, und mein Puls raste. Als dann plötzlich unerwartet gegen mein Fahrzeug geschlagen wurde, beschleunigte er sich zusätzlich. Ich zuckte zusammen und schaute durch das Fenster nach unten.

Herr Domeier, der Bauherr, stand neben meinem Bagger und hielt einen Spaten in den Händen, der das unangenehme Geräusch verursacht hatte.

„Servus, alles klar da drin?“, drang es dumpf zu mir ins Innere der Kabine.

Ich stieß die Fahrertür auf und stieg hinab zu dem Mann, der in graue Gummistiefel, eine Fleecejacke und eine Sportmütze gekleidet war. Meine Dienste waren ihm empfohlen worden. Das freute mich besonders: Meine Grabungstätigkeiten waren noch nicht allzu bekannt in der Region. Mir schien daher, jemand hatte mir mit der Empfehlung einen Gefallen tun wollen. Das war dieser Person gelungen; Herr Domeiers geplantes Projekt sollte extravagant werden, weswegen ich meinen Stundensatz leicht angehoben hatte.

„Guten Morgen. Ja, alles beim Rechten. Ich habe mich gerade gefragt, ob es nächste Woche Frost geben wird.“

„Das glaube ich nicht. Und wenn schon – lassen Sie uns anfangen.“

 

In den folgenden fünfzehn Minuten besprachen wir die ersten Schritte, während von dem Kaffee aus Herrn Domeiers Aluthermoskanne in unseren Trinkbechern kleine Wölkchen aufstiegen.

Als der Lastwagen für die ausgebaggerte Erde vorfuhr, legte ich mit meiner Arbeit los. Ich beschloss, das Entfernen der Reben zuletzt durchzuführen und erst einmal langsam auf dem brachen Teil mit dem Graben für die Verlegung von Rohren und Kabeln zu beginnen. So dauerte es mehr als zwei Stunden, um die ersten Umgrabungen sorgfältig zu erledigen.

Währenddessen kehrten meine Gedanken immer wieder zu meinem Bruder zurück, und noch häufiger schaute ich auf mein Handy. Es zeigte keine weiteren Nachrichten an. War er zur Polizei gegangen?

Morgen früh würde ich mit den großen Arbeiten anfangen und jeden Quadratmeter aufmachen, damit die Kollegen Kies verteilen und mit der Rüttelplatte rübergehen konnten. Das bedeutete, dass der Körper bis dahin gefunden werden würde …

 

„Du bist so still. Ist alles in Ordnung?“, fragte mich an dem Abend meine Freundin Carolin mit einem Stirnrunzeln. Wir saßen in der Küche meines Hauses auf der Bank und schwiegen uns an.

„Ja“, gab ich wenig überzeugend als Antwort. Ich hatte meine Stulle mit Gerupftem kaum angerührt, denn mir war mehr als flau im Magen.

„Das sieht nicht so aus. Hat heute etwas nicht geklappt auf der Baustelle?“, fragte sie. Caro kannte mich einfach zu gut. Wir waren seit sieben Jahren ein Paar. Sie kannte meine Eltern, meinen Bruder und sogar dessen Ex-Frau und Tochter.

„Jein …“

„Was war los?“, hakte sie nach und goss sich etwas O-Saft in ein Glas. Ihre blonden kurzen Haare standen heute dank Haargel etwas ab und offenbarten ihre Tattoos im Nacken.

Ich überlegte erneut, ob ich ihr alles erzählen sollte. Ich wollte sie eigentlich aus der Sache heraushalten. Würde ich sie ungefragt zur Mitwisserin machen und die Polizei sie befragen, hätten wir beide ein weitaus größeres Problem.

„Ich kann nicht darüber sprechen.“

„Schon klar.“

„Caro, wirklich, es hat nichts mit dir oder uns zu tun. Mein Bruder hat sich in eine ungute Lage gebracht. Ich würde ihm gerne helfen, kann es aber nicht. Das ist allerdings ein Ding zwischen ihm und mir.“

„Du hast dich schon mal so benommen. Damals nach dem Weinfest“, erinnerte sie mich in einem säuerlichen Tonfall.

Vor ein paar Jahren hatte ich auf dem Weinfest im Dorf zu viel getrunken. Ich hatte viel Spaß mit einer sehr attraktiven Kollegin gehabt, der ich sonst nur im Kopierraum begegnet war. Ich hatte meine Chance genutzt, sie besser kennenzulernen, und wir hatten uns blendend verstanden. Im feuchtfröhlichen Rausch waren wir nach dem Ende der Blaskapelle weiter in eine Volkacher Bar gezogen, wo wir knutschend die restliche Zeit verbracht hatten. Als ich am nächsten Morgen wieder klar im Kopf gewesen war, hatte ich festgestellt, dass ich mich entscheiden musste.

Ich hatte meine Freundin gewählt. Zu unsicher war mir das Anbandeln mit der Kollegin gewesen. Diese Entscheidungsfindung hatte jedoch einen Tag gedauert, und meine Laune war dementsprechend nachdenklich und betrübt gewesen – wie heute.

„Können wir das Fest bitte nicht mehr ansprechen? Spätestens in zwei Wochen erzähle ich dir alles. Bis dahin hat sich die Sache erledigt“, gab ich mich sicher und biss energisch in mein Brot.

„Okay. Einverstanden. Aber du kannst mir versichern, dass du nicht schon wieder Mist gebaut hast? Heimliche Flirts, Zweithandy und solche Sachen?“

Caro wollte es wirklich wissen. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, mein Schatz, ich schwöre dir, ich habe nichts mit anderen Frauen am Laufen.“

Dass ich bei diesem Satz meine freie Hand unschuldig hob, lenkte von meinen Beinen ab, die sich sogleich unter dem Tisch überkreuzten.  

Am nächsten Morgen wachte ich auf und fühlte mich noch schlechter als ohnehin schon. Ich beschloss, einen Plan zu schmieden und die Möglichkeiten zu nutzen, die sich mir boten.

Ich wollte nicht, dass Benni ins Gefängnis wanderte. Zwar war ich der Meinung, dass er eigentlich Verantwortung für seine Tat tragen müsste. Jedoch wäre dies für unsere Mutter ein Skandal. Seit unserer Kindheit tat sie alles dafür, dass wir uns an Regeln und Gesetze hielten und im Dorf gemocht wurden. Das wiederum tat sie, weil sie als Mitglied der Geschäftsführung der ansässigen Winzergenossenschaft sehr geachtet wurde. Ihr Beruf bedeutete ihr alles, und sie war sehr stolz darauf, in dieser männerdominierten Sparte so erfolgreich zu sein. Regelmäßig berichtete die Zeitung über sie und ihre Tätigkeit. Sie war eine kleine Berühmtheit. Wenn einer ihrer Söhne wegen Mordes belangt wurde, würde das nicht nur das Ende ihrer Karriere zur Folge haben, sondern auch das ihres Rufes. Wenn ich das verhindern konnte, musste ich es tun.

Die Option, nicht zu baggern und das Feld jemand anderem zu überlassen, schloss ich aus. Die Leiche würde so oder so gefunden werden. Es war besser, dass ich sie fand.

Da mein Bruder höchstwahrscheinlich gesehen worden war und er vermutlich versehentlich Spuren auf der Leiche hinterlassen hatte, würde die Polizei schnell auf ihn kommen. Immerhin war er polizeilich bekannt. Zudem gab es Caro. Auch wenn unsere Beziehung manchmal holprig verlief, wollte ich sie als Partnerin behalten. Sie war schlagfertig und wusste, was sie wollte. Sie würde allerdings nicht bei mir bleiben, wenn ich als Mitwisser belangt wurde und sie ausgeschlossen hätte.

Scheiße, dachte ich. Die einzige Lösung besteht darin, Caro einzuweihen und die Leiche verschwinden zu lassen. Keiner käme in den Knast, Caro bliebe bei mir, mein Bruder könnte Melissa bald wiedersehen und meine Mutter wäre eine Unbeteiligte. Vorausgesetzt, wir werden nicht entdeckt.

Beim Durchdenken, wie schön sich alles fügen könnte, wenn Benni den Körper ausgrub und erneut verschwinden ließe, machte sich Erleichterung in mir breit. Ich musste ihn dazu überreden. Beinahe beflügelt schrieb ich meinem Bruder die Nachricht: Lass uns noch mal treffen.

Ich drehte mich zu Caro um, die von meiner ruckartigen Bewegung wach wurde.

„Ich erzähle es dir.“

 

Als mein Bruder, Caro und ich eine knappe Stunde später an meinem Küchentisch saßen, schauten wir uns fragend an. Schließlich ergriff Benni mit ernster Miene das Wort.

„Egal, wie das hier ausgeht, ich verspreche euch, dass ich euch nicht als Mitwisser verrate.“

Diesen Worten Glauben zu schenken, schien sehr verlockend.

„Okay, lass uns einfach das Beste hoffen“, sagte Caro. Ihre Reaktion am heutigen Morgen hatte sich von Unglauben über Schock bis hin zu Rationalität gewandelt. Zu meiner Überraschung hatte sie nicht das Weite gesucht. Stattdessen durchdachte sie inzwischen laut mögliche Szenarien und kam immer wieder zu dem Schluss, dass die Leiche auf jeden Fall ausgegraben und verbrannt werden musste.

„In zwei Stunden muss ich am Grundstück sein. Was machen wir?“, versuchte ich, Druck zu machen.

„Wir brauchen ein wenig mehr Zeit. Du kannst doch bestimmt für heute absagen wegen Krankheit oder einem Notfall, oder?“, fragte mein Bruder.

„Ja, das kann ich machen …“, murmelte ich und holte mein Handy hervor. Ich wählte die Nummer von Herrn Domeier, gab mich verschnupft und verschob die Baggerarbeiten auf den nächsten Tag. Erfreut war er nicht, aber zu höflich, um mir einen Spruch entgegenzubringen.

„So, an die Arbeit. Wer gräbt die Leiche aus?“, tönte Caros Stimme durch meine Küche. „Ich würde es tun, glaube allerdings, dass mir die nötige Kraft dazu fehlt.“

Sie hatte recht. Caro war zwar sportlich, dennoch wollten wir ihr einen Körper von etwa achtzig Kilogramm nicht zumuten. Davon abgesehen hatte sie am wenigsten mit der Sache zu tun.

Bevor ich äußern konnte, dass mein Bruder die Leiche ausgraben sollte, sprach dieser: „Wenn die Person gesehen wird, ist es das Beste, dass die Anwesenheit auf dem Grundstück Sinn ergibt und natürlich erscheint … “

„Wir können es auch nachts machen“, schlug ich vor und ging nicht auf Bennis Aussage ein.

„Wenn nachts jemand mit einer Schubkarre gesehen wird, ist es wirklich auffällig, Mark“, wandte er ein. „Wie gesagt, die Anwesenheit bei Tag sollte selbstverständlich sein, um kein Aufsehen zu erregen …“

Mir dämmerte, dass seinem Argument nach meine Person am geeignetsten erschien.

„Guck mich nicht so an. Ich mache das nicht! Aber ich kann dich als mein Handlanger anmelden“, schlug ich meinem Bruder vor. „Dann kannst du dich auf dem Grundstück unauffällig bewegen, dort herumregeln und wirkst nicht verdächtig.“

„Falls wir auffliegen, sollten so wenige wie möglich von uns vor Ort sein. Meint ihr nicht?“, hakte Caro ein.

Benni nickte und meinte: „Die Idee mit dem Handlanger ist gut, dennoch glaube ich, ist Caros Punkt schwerwiegender.“

Sie hatten recht. Das musste ich eingestehen. Hier ging es nicht um Vorlieben, sondern um alles oder nichts. Ich schwieg einen Moment und suchte nach einer besseren Idee. Mir fiel keine ein.

„Na schön, aber ich will dein Wort, dass du mich da rausholst und gestehst, falls es schiefgeht“, zwang ich mich zu einem Zugeständnis. Wenigstens hing der Erfolg der Aktion somit von mir ab, und mein Bruder konnte es nicht wieder vermasseln.

Dieser versicherte mir: „Ja, ich gebe dir mein Wort.“

Trotzdem blieb das mulmige Gefühl in meinem Bauch. Benni schien es mir anzumerken und beschwichtigte mich. „Lass uns das Ganze hier per Video auf dem Handy festhalten“, sagte er und zückte sein Smartphone aus der Hosentasche.

Nachdem er die Videoaufnahme im Selfie-Modus gestartet hatte, blickte er in die Kamera und sagte: „Ich, Benjamin Holzner, habe einen serbischen Erntehelfer getötet und vergraben. Mein Bruder, Mark Holzner, hilft mir, die Leiche auszugraben, weil ich ihn dazu dränge. Ihn trifft keine Schuld.“

Dann beendete er das Video, sendete es mir per Messenger und ließ sein Handy verschwinden. Das Vibrieren meines Telefons beruhigte mich vollends. Wenn alles schiefginge, hätte ich einen Videobeweis.

Ich goss uns allen einen Kaffee ein, und wir überlegten fieberhaft, wann ich mit welchem Vorwand den Körper des toten Mannes ausheben konnte.

„Es muss wie selbstverständlich wirken“, meinte Caro.

„Bist du irgendwann allein auf der Baustelle?“, fragte mein Bruder.

„Ja, vormittags und nachmittags. Der Bauherr kommt morgens und abends vorbei. Manchmal auch in der Mittagspause. Soweit ich weiß“, antwortete ich. Herr Domeier arbeitete als Anwalt in einer Kanzlei in Kitzingen und hatte es gern, den Fortschritt zu überwachen. So viel hatte ich aus unseren Gesprächen bereits heraushören können.

„Dann ist es ja einfach. Wir platzieren eine Schubkarre und einen Anhänger mit ein paar Muschelkalksteinen und einer Plane am Straßenrand. Du gräbst, bis du die Leiche findest. Dann lädst du sie in die Karre, fährst sie zum Hänger, lässt sie ab und spannst die Plane drüber. Danach baggerst du weiter, als sei nichts gewesen, und zur Mittagspause fährst du deine Muschelkalksteine weg.“

Die Ausführung meines Bruders klang in der Tat simpel und machbar. Die Muschelkalksteine als Vorwand zu benutzen, um den Hänger am Straßenrand zu rechtfertigen, erschien mir clever.

Ich zeigte mich dennoch skeptisch. „Und was soll ich dem Kunden sagen? Ich fand die Steine so schön?“

„Du sagst einfach, dass du die Muschelkalksteine für den privaten Gebrauch behalten wirst. Labere meinetwegen irgendwas von Begrenzung für deinen Gartenteich.“

Eins musste ich ihm lassen: Die Lügen gingen ihm leicht über die Lippen.

„In welchem Zustand ist die Leiche? Zerfällt sie, wenn ich sie heraushebe?“, wollte ich von ihm wissen.

Benni antwortete unbekümmert: „Ich habe sie mehrfach eingewickelt. Sie sollte noch in einem Stück sein.“

Caro nickte meinem Bruder zu und sah ihn mit festem Blick an. Sie wirkte ganz und gar überzeugt von der Idee und zweifelte keine Minute. Weder an dem Plan noch an mir. Ihr Vertrauen in mich war ein echter Liebesbeweis.

Am Nachmittag sprachen wir mehrmals den Plan in all seinen Details durch und gingen in den praktischen Teil über: Wir räumten meine Tiefkühltruhe aus und stellten einiges an Sperrmüll, den ich ohnehin loswerden wollte, zusammen. Mein Bruder holte von sich zu Hause einen Anhänger, der beladen war mit der Schubkarre und den Muschelkalksteinen. Caro fuhr mit ihm mit, um beim Tragen zu helfen, und ich kramte in meinem Schuppen nach einer großen Plane. Während die beiden bei mir im kleinen Hof hinter meinem Haus die Plane am Hänger festbanden, platzierte ich die Kalksteine darauf. Mit dieser Ausstattung musste unsere Mission unauffällig durchführbar sein. Zum Schluss luden wir mit Bennis Gabelstapler die kleine Baggerschaufel auf.

In 24 Stunden würde alles vorbei sein. Sobald ich mit der Leiche auf dem Hänger zu Hause ankäme, würde ich meinen Bruder und Caro antreffen. Diese würden mir helfen, den Körper in die Tiefkühltruhe zu bugsieren. Wir beschlossen, die Leiche vorerst darin aufzubewahren und die Truhe zwei Tage später – wenn der Körper gefroren war – mit weiterem Schrott von meinem Grundstück wegzufahren.

Was macht man nicht alles für die Familie, schoss es mir am Abend durch den Kopf. Meine Freundin war wieder einmal beim Sport, und ich saß ratlos auf meiner Couch. Wenn das alles gut ging, würde mein Bruder mir etwas schuldig sein. So viel stand fest.

 

Ich goss mir und meiner Komplizin mit leicht zitternder Hand am nächsten Morgen einen Kaffee ein. Heute ging es los. Im Kopf bereitete ich mich auf mögliche neugierige Fragen vor, um etwaigen Verdacht im Keim zu ersticken, sollte man mich ansprechen.

Als ich mein Auto mit dem kleinen Hänger vor dem Grundstück zum Halten brachte, war der Bauherr noch nicht da. Ich löste die Plane und schob sie ein Stück beiseite, sodass ich sie schnell über die Ladefläche und somit über meine fragwürdige Fracht werfen konnte. Ich hob die Schubkarre vom Anhänger und fuhr sie an die Stelle, an der ich später den Körper aus der Erde heben würde. Benni hatte mir gestern Abend bei Google Maps den genauen Ort verraten, an dem er den Körper vor wenigen Monaten verscharrt hatte.

Mit schweren Schritten stieg ich auf meinen Giganten und schaltete den Motor an. Dann rammte ich die Schaufel an dem Punkt in die Erde, an dem ich zwei Tage zuvor aufgehört hatte, und wartete beim Baggern auf Herrn Domeier.

Gegen neun Uhr ließ er sich blicken. Nachdem er sich nach meinem Gesundheitszustand und dem heutigen Vorhaben erkundigt hatte, informierte ich ihn kurz über meinen Wunsch, die Muschelkalksteine behalten zu dürfen. Er erklärte sich einverstanden und fuhr anschließend wieder. So weit, so gut.

Mit Caro und Benni hatte ich abgesprochen, dass ich um zwölf Uhr bei mir zu Hause ankommen sollte. Auf diese Weise sähe mein Verschwinden nach einer normalen Mittagspause aus. Bis dahin würde meine Freundin einige Male in Sportkleidung die Straße entlanglaufen und mir zuwinken, sobald die Nachbarn links und rechts aus ihren Auffahrten gefahren waren. Außerdem wollte sie horchen, ob Winzer mit ihren Traktoren auf der Straße auf uns zusteuerten, und mich rechtzeitig warnen, falls dem so war.

Sobald das Auto meines Auftraggebers außer Sichtweite war, brachte ich anstelle der großen Schaufel die mitgebrachte kleinere an. Dann rollte ich mein Gefährt an die Stelle, an der ich die frische Erde vor zwei Tagen entdeckt hatte. Ein letztes Mal wischte ich meine schweißnassen Hände an meiner Hose ab und begann zaghaft mit dem Abtragen der Erde neben ebenjener Stelle.

Ich hatte Caro bisher zweimal auf der Straße gesehen und rechnete jeden Moment mit ihrem dritten Erscheinen und einem Winken. Es dauerte keine fünfzehn Minuten, da joggte sie wie verabredet mit wippenden Haaren vorbei und winkte mir in meiner Kabine zu. Jetzt galt äußerste Vorsicht.

Ich vergewisserte mich, dass niemand in der Nähe war, und machte mich an dem besagten Fleck zu schaffen. Laut Benni lag das Objekt einen knappen Meter unter der Oberfläche, was bedeutete, dass ich ungefähr zwei Schaufeln bräuchte, um es zu erreichen.

Meine Schaufel schloss sich um die erste Fuhre dunkler Erde; von der blauen Plane, in der die Leiche steckte, war keine Spur. Langsam ließ ich die Erde an ihren vorgesehen Platz fallen und drehte den Baggerarm zurück. Obwohl man mit viel Übung sehr präzise baggern kann, fehlt es trotzdem an einer Information: Durch die massive Schaufel fühlt man keinen Widerstand, sofern dieser nicht extrem hart oder groß ist und die Schaufel offen hält. Einen Körper zu erfühlen war also unmöglich.

Ich hob die zweite Schaufel Erde ab, da blitzte plötzlich etwas Blaues im Boden auf. Erneut schaute ich mich um. Ich war allein. Ich atmete tief durch und hielt für den folgenden Arbeitsschritt die Luft an; der Moment war gekommen.

Ich öffnete die Schaufel über dem blauen Zipfel, grub sie einen halben Meter darunter ein und hob sie behutsam samt Inhalt hoch. Ein längliches Paket ruhte in meinem metallenen Greifer; nur wenig Erde befand sich drum herum. Ich konnte die Leiche direkt in die Schubkarre legen. Besser hätte es nicht laufen können.

Nachdem ich mit viel Fingerspitzengefühl verhindern konnte, dass die Schubkarre beim Beladen umkippte, ließ ich den Motor des Baggers angeschaltet, damit kein Nachbar von der Veränderung der Geräuschkulisse hellhörig wurde. Dann verließ ich die Kabine. Ich packte mit etwas wackeligen Beinen die Griffe des Transportmittels und schob es über das Grundstück zum Hänger. Das Brummen der Baumaschine erfüllte die Luft. Die Straße war leer. Ich konnte mein Glück kaum fassen.

Die ausgefahrene Rampe klapperte, als ich meine Last in der Karre darüber schob. Oben angekommen, ließ ich den Körper ab. Mit einem dumpfen Geräusch plumpste er auf die Ladefläche. Daraufhin bewegte ich mich zügig zurück auf den Boden. Von dort aus warf ich die Plane über den Plastiksack und befestigte sie. Als mein Werk verrichtet war, stieg ich zurück auf den Bagger und grub etwas sinnlos herum, um meine Atmung und meine Körpertemperatur wieder unter Kontrolle zu bringen.

Die letzte Hürde kam um 11 Uhr 30 im schicken BMW vorgefahren: Herr Domeier wollte sich wie üblich über den Fortschritt erkundigen und betrachtete argwöhnisch den Hänger mit der Plane. Ich witterte die Gefahr und beeilte mich, um bei ihm zu sein, ehe er darunter schauen konnte.

„Wozu die Plane? Es regnet doch gar nicht.“

„Manchmal fliegt durch den Fahrtwind etwas Sand von den Steinen.“

„Ach so, klar. Haben Sie genug für Ihren Gartenteich gefunden?“, fragte er und bezog sich auf unser kurzes Gespräch von heute Morgen.

„Das habe ich, vielen Dank. Ich werde nun auch eine Pause machen. Kommen Sie heute Abend noch einmal vorbei?“

„Ja, kurz nach der Arbeit. Die Kollegen mit dem Minibagger kommen auch. Es wäre gut, wenn Sie ebenfalls dabei wären.“

„Ja, kein Problem. Bis später“, erwiderte ich und spürte schon wieder die Hitze in mir aufsteigen. Ich setzte mich in mein Auto und fuhr samt Anhänger davon.

 

Als ich in die Straße zu meinem Hof einbog, fiel eine ungeheure Last von meinen Schultern. Die Leiche war geborgen. Mein Teil war damit erledigt. Für die Entsorgung war mein Bruder größtenteils zuständig.

Ich trat vorsichtig auf die Bremse, um das Auto zu entschleunigen, und fuhr meine Auffahrt hinauf. Mein Gespann brachte ich im Hof zum Stehen. Anschließend bewegte ich mich zur Eingangstür, die ich aufschloss.

„Hallo, bin wieder da. Es hat alles –“

Jäh unterbrach mich das Erscheinen eines mir fremden Mannes in Uniform. Meine Freundin tauchte hinter ihm im Türrahmen auf.

„Hallo, Mark“, sagte sie schnell und gedrungen, „als du weg warst, kam die Polizei vorbei. Sie haben einen Hinweis bekommen und gehen dem nach. Es geht um den vermissten Erntehelfer serbischer Abstammung.“

Mein Herz machte einen Aussetzer. Hatte uns jemand gesehen oder belauscht?

„Hallo“, begrüßte ich mit trockenem Mund den kahlköpfigen Herrn und schüttelte seine Hand. „Ich bin Mark Holzner. Ich bin mir sicher, den Kollegen schon damals alles mitgeteilt zu haben.“

„Hallo, Herr Holzner, ich bin Walter Fromm, Polizeioberkommissar der Polizeiinspektion Kitzingen“, stellte er sich vor.

Eine weitere Polizistin betrat den Flur, machte sich ebenfalls mit mir bekannt und schob hinterher: „Der Hinweis, den Ihre Freundin erwähnte, deutet direkt auf Ihre Person, Herr Holzner.“

O mein Gott, das durfte nicht wahr sein!

„Ach, das ist ja merkwürdig. Und wie kann ich Ihnen helfen?“

„Lassen Sie uns doch nach draußen gehen“, schlug Herr Fromm vor.

„Natürlich. Darf ich kurz auf die Toilette gehen? Ich saß gerade vier Stunden auf dem Bagger.“

„Kein Problem.“

Im Bad blickte ich in den Spiegel. Meine dunklen Augen waren vor Schreck geweitet. Auf meiner Stirn und über meiner Oberlippe stand der Schweiß, obwohl ich nur einen Pulli trug. Meine Gedanken rasten. Wo verdammt noch mal war mein Bruder? Ich schrieb ihm eine Nachricht.

„Wo bist du?!! Wir haben Besuch!“

Ich hatte keine Zeit, um länger auf seine Antwort zu warten. Es waren mehrere Minuten vergangen, und im Flur, direkt vor der Tür des Gäste-WCs, wartete man auf mich. Als ich aus dem Bad trat, gab ich mir die größte Mühe, entspannt zu wirken.

„Wollen wir uns in die Küche setzen?“, fragte ich, den Vergesslichen mimend.

„Nein, wir würden uns gern auf Ihrem Hof umsehen“, sagte Oberkommissar Fromm bestimmt. So bewegte sich unser kleines Grüppchen durch den Flur. Jeder Schritt fiel mir unsagbar schwer.

Ich hoffte auf ein Wunder. Draußen im Sprühregen angekommen, stellte die Polizistin, Frau Braun, ein paar belanglose Fragen zu meiner Person und meiner Tätigkeit. Dann wandte sie sich von mir ab und dem Hänger zu, an dem ihr Kollege bereits reges Interesse zeigte.

„Ist das Ihr Hänger?“, fragte sie mit zusammengekniffenen Augen, als könnte sie durch die Plane hindurchsehen.

Ich war hin- und hergerissen, alles zuzugeben und meinem Bruder in den Rücken zu fallen. Dann jedoch dachte ich an das Versprechen, das er mir gegeben hatte, und an unsere Mutter.

„Nein, der gehört meinem Bruder, Benjamin Holzner. Ich habe ihn ausgeliehen, um ein paar Muschelkalksteine für meinen Garten von meiner aktuellen Baustelle zu transportieren. Wollen Sie meinen Gartenteich mal sehen?“

„Aha. Nein, vielen Dank. Aber dürften wir mal unter die Plane schauen?“ Kommissarin Braun klang dabei alles andere als dankbar.

Mir musste jegliche Selbstsicherheit aus dem Gesicht gewichen sein, denn sie machte siegessicher einen großen Schritt auf den Hänger zu.

„Nein, das möchte ich nicht“, warf ich schnell ein.

Die Kommissarin kam abrupt zum Stehen. Sie musterte mich skeptisch und zog eine Augenbraue hoch. Dann sagte sie: „Herr Holzner, das sieht für mich verdächtig aus. An Ihrer Stelle würde ich uns darunter schauen lassen und nicht die Ermittlungen behindern.“

War das eine Drohung? Aus diversen Krimis wusste ich, dass die Behinderung der Justiz eine Straftat darstellte. Das traf allerdings ebenfalls auf die Beseitigung einer Leiche zu, nicht wahr?

Caro kam mir zu Hilfe, indem sie einwarf: „Brauchen Sie dafür nicht einen Durchsuchungsbefehl oder so etwas?“

„Ja, den können wir uns in Nullkommanichts besorgen. Der Staatsanwalt hat heute mehrere Termine im Präsidium“, gab Oberkommissar Fromm zur Antwort.

„Bleiben Sie bei Ihrem Nein?“, entgegnete Kommissarin Braun. Sie ließ sowohl mich als auch Caro nicht aus den Augen.

„Ich denke schon. Sie können gern wiederkommen“, schloss ich das Gespräch und hoffte, mein Bruder würde mir irgendwie beispringen. Doch er war nicht da.

Die beiden Uniformierten stiegen in ihr dunkles Auto mit Kitzinger Kennzeichen und brausten davon. Caro und mich ließen sie in Schockstarre zurück. Wortlos gingen wir ins Haus und setzten uns an den Küchentisch.

„Hast du damit was zu tun?“, fragte ich meine Freundin direkt.

Sie stemmte die Hände auf die Tischplatte und sagte mit lauter Stimme: „Glaubst du das echt?! Ich habe so gut von dir gesprochen, als wärst du ein Heiliger. Ich habe Benni nebenbei zahlreiche Nachrichten geschickt und ihn sogar vom Klo aus angerufen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Lass uns sehen, dass wir ihn rankriegen, bevor die Bullen wieder auftauchen.“

„Und was ist mit der Leiche? Komm, wir packen sie in die Kühltruhe und fahren den Hänger zurück zu Benni. Irgendwo muss er ja sein“, entgegnete ich aufgebracht. Ich konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, ihr gegenüber laut zu werden.

Die Leiche zu verladen wäre mit meinem Bruder eindeutig einfacher gewesen. Caro manövrierte den Hänger und ich zerrte den leblosen Körper in die Kühltruhe hinein. Das alles geschah in meiner Werkstatt, damit unser Vorhaben von Passanten unbemerkt blieb. Die Muschelkalksteine setzte ich tatsächlich an meinen Gartenteich hinter dem Haus. Der Zeitdruck machte mir zu schaffen. Unter Stress einen Plan zu entwickeln und Dringendes zu priorisieren, fiel mir seit jeher schwer.

Als Caro und ich im Auto saßen, um meinen Bruder zu suchen, lagen meine Nerven blank und mir schossen tausend Fragen durch den Kopf. Wer hatte der Polizei den Tipp gegeben? Handelte es sich um einen Zufall? Hat Benni sich selbst verraten? Oder – was ich mir kaum ausmalen wollte – versuchte er, mir den Mord anzuhängen? So gerissen schätzte ich ihn nicht ein. Vollständig ausschließen konnte ich es jedoch nicht.

Der Hof unseres Elternhauses wirkte wie leer gefegt. Wir ließen den Hänger am Rand stehen. Ich hatte den Zweitschlüssel für Bennis Wohnhaus dabei. Caro und ich durchsuchten die Wohnräume, seine Halle samt Werkstatt, den Keller und den Gartenpavillon. Von meinem Bruder war keine Spur. Wir trafen uns vor der Haustür wieder, die er mir erst vor wenigen Tagen so harmlos geöffnet hatte. Jetzt erschien mir alles wie ein endloser Albtraum.

„Lass uns zur Polizei gehen“, platzte es aus mir heraus. Mir fiel das Video ein, das Benni mir geschickt hatte. Es entflammte neue Hoffnung in mir. Ich sah Caros entsetzten Blick und fuhr fort: „Hier ist eindeutig was faul. Er hat uns ausgetrickst und sich vom Acker gemacht. Im schlimmsten Fall ist er zur Polizei gegangen und tut so, als wären der Mord und das Ausgraben auf meinem Mist gewachsen. Fuck, Caro, wir müssen ihm zuvorkommen oder wenigstens etwas tun, solange wir können.“

„Ich glaube, ich muss mich übergeben.“ Caro war blass und sah kränklich aus. „Ich geh kurz ins Bad. Ruf ihn noch mal an!“, rief sie mir zu, ehe sie stolpernd im Hausflur meines Elternhauses verschwand.

Ich zog mein Handy aus der Tasche und bemühte mich, meine zitternden Finger in den Griff zu bekommen. Ich nahm tiefe Atemzüge, versuchend, mich dadurch zu beruhigen. Es war vergebens. Anstatt erneut seine Nummer zu wählen, wollte ich das Beweisvideo heraussuchen. In meiner Fotogalerie musste es das zuletzt hinzugefügte Element sein. Doch es war nicht da.

Ich durchsuchte alle Alben, Downloads, archivierten Dateien und auch den WhatsApp-Chat. Dort wurde bloß ein verschwommenes Bild anstelle des Videos angezeigt. Jemand hatte die Datei von meinem Handy gelöscht.

Mein Innerstes zog sich schmerzhaft zusammen, als mich die Erkenntnis traf: Caro war die Einzige, die sich unbemerkt an meinem Handy zu schaffen gemacht haben konnte. Oder hatte ich es unbeaufsichtigt in Bennis Gegenwart liegen lassen? Daran konnte ich mich in diesem Moment nicht erinnern. Hier spielt jemand ein falsches Spiel, so viel stand fest.

Meine Freundin war bisher nicht zurückgekehrt. Ohne zu zögern, öffnete ich meine Autotür, steckte den Schlüssel in die Zündung und raste vom Hof. Ich wollte meinem Bruder und womöglich auch Caro zuvorkommen, ehe ich festgenommen wurde. Wenn der Durchsuchungsbefehl ausgeführt wurde, würde ich wegen der Leiche in der Truhe festgenommen werden. Ich fuhr geradewegs zur Kitzinger Polizeiinspektion.

Die zwanzigminütige Autofahrt zwang mich, meine Nerven in den Griff zu bekommen. Ich konnte oder vielmehr wollte nicht glauben, in was ich mich hineinmanövriert hatte. Auch überlegte ich, woran ich einen Betrug hätte merken können. Doch dafür blieb keine weitere Zeit, denn die Uhr tickte. Wenn mein Bruder tatsächlich untergetaucht war, würde meine Freundin durch mein Verschwinden alarmiert sein und es ihm vermutlich gleichtun. Ich musste meinen Arsch retten.

 

Ich rannte regelrecht die Stufen zum Haupteingang der Polizeiinspektion hinauf und ging zur Anmeldung.

„Ich heiße Mark Holzner. Ihre Kollegen Herr Fromm und Frau Braun waren heute bei mir. Ich würde gerne mit den beiden sprechen.“

„Einen Moment. Füllen Sie bitte in der Zwischenzeit diesen Bogen aus“, erwiderte die junge Dame hinter dem Tresen gelangweilt und händigte mir einen Zettel und einen Kugelschreiber aus.

Ich nahm in einem zum Wartezimmer umgestalteten Flurabschnitt Platz und sprang direkt wieder auf. Zu viel Adrenalin schoss durch meinen Körper. Als ich meine Personalien und meinen Besuchsgrund auf das Papier gekritzelt hatte, tauchte Frau Braun in der Tür auf.

„Hallo, Herr Holzner, das ging ja schnell. Kommen Sie doch bitte mit, damit wir ungestört reden können.“

Hatte ich da gerade ein Lächeln auf ihrem Gesicht gesehen? Ich platzte beinahe vor Rededrang und ließ diesem freien Lauf, sobald ich auf dem kalten Stuhl im Verhörraum Platz genommen hatte. Ich erzählte alles, was mir Benni im geheuchelten Vertrauen erzählt hatte. Frau Braun machte sich Notizen und unterbrach mich hin und wieder in meinem Redefluss, um Details zu erfahren.

 

Fortsetzung von „Unter den Reben“

Als ich vor zwei Tagen alle Informationen preisgegeben hatte, war ich direkt in Gewahrsam genommen worden. Daraufhin hatte ich meinen Anwalt, Dr. Karl Kramp, über alles in Kenntnis gesetzt. Es war das Vernünftigste, was ich hatte tun können, um die Schärfe der Situation abzumildern. Dr. Kramp sah dies genauso.

Während der Untersuchungshaft befand ich mich in einer engen Zelle, die temporär mein Zuhause wurde, während ich sehnsüchtig auf die Festnahme meines Bruders wartete. Seine Aussagen oder die von Zeugen waren entscheidend, um ihn zu überführen. Andernfalls lag es an mir, durch stichhaltige Beweise meiner Abwesenheit am Tatort die Justiz von meiner Unschuld zu überzeugen. Die genaue Bestimmung des Tatzeitpunkts blieb allerdings unklar, was das Vorlegen eines Alibis erheblich erschwerte.

Die Beamten durchsuchten Bennis Grundstück und seine üblichen Aufenthaltsorte. Doch mein Bruder hielt sich versteckt. Mehr und mehr hatte ich Angst, dass er es geschafft hatte, mir den Mord anzuhängen. Oder war es Totschlag? Ich wusste es nicht. Was ich wusste, war, dass mir Jahre im Gefängnis bevorstanden.

Mit jeder Stunde steigerten sich meine Selbstvorwürfe, mein schlechtes Gewissen meiner Mutter gegenüber und auch die Wut auf Benni und Caro. Hatte Benni dafür gesorgt, dass mir der Baggerauftrag gegeben wurde? Steckte er mit Caro unter einer Decke? Hatte ich mir etwas zu Schulden kommen lassen außer den Ausrutscher am Weinfest? Streng genommen lautete die Antwort Ja. Ich hatte meine Freundin in den letzten Jahren mehrmals mit kurzweiligen Affären betrogen. Allerdings war es fast unmöglich, eine meiner Liebschaften aufzudecken.

Als ich am dritten Tag in der Würzburger JVA Besuch bekam, freute ich mich mehr denn je, Oberkommissar Fromm und Kommissarin Braun zu sehen.

„Hallo, Herr Holzner. Es gibt neue Entwicklungen, über die wir gern mit Ihnen sprechen möchten. Ihr Anwalt hat seine Hausaufgaben gemacht. Er wird in wenigen Minuten hier sein. Dasselbe gilt für den Staatsanwalt. Ein Vertreter der serbischen Familie, die ihren Angehörigen vermisst, ist bereits gestern angereist.“

Die Aufzählung ließ mich erstarren. In meinem Haftraum hatte ich ständig das Szenario durchgespielt, wie es weitergehen könnte. Dass die Angehörigen des Serbens informiert werden würden, hatte dabei nicht den Weg in meine Gedanken gefunden. Aber natürlich lag es auf der Hand: Hier ging es immer noch um einen Menschen, dessen Verschwinden geklärt wurde. Ich war nur Nebendarsteller.

„Nehmen Sie bitte Platz“, forderte mich Kommissarin Braun auf. Sie nahm an der längeren Seite des grauen Konferenztisches Platz und bot mir den gegenüberstehenden Stuhl an. Zu Frau Brauns Seite saß bereits Oberkommissar Fromm. Der Vernehmungsraum der JVA Würzburg war heller gestaltet und somit nicht ganz so bedrückend wie der in Kitzingen. Mir wurde ein Glas Wasser angeboten und die Handschellen abgenommen. Anschließend warteten wir schweigend auf den Staatsanwalt. Mein Beistand, Dr. Kramp, war zwischenzeitlich eingetroffen und setzte sich neben mich. Ich sehnte mich danach, mit ihm in Ruhe zu sprechen und den neuesten Ermittlungsstand zu bewerten.

Das musste indessen bis nach der Vernehmung warten. Mit einem Klimpern und kurzem Poltern wurde die Tür zu unserem Raum geöffnet. Der Staatsanwalt, gekleidet in einen dunklen Anzug, trat herein und schloss leise die Tür hinter sich. Er schien sich in den Räumlichkeiten auszukennen und strahlte Selbstbewusstsein und Entschlossenheit aus. Herr Pozniak, wie er sich mir vorstellte, ging daraufhin zu den Polizisten und schüttelte ihnen lächelnd die Hand. Dann setzte er sich auf den freien Stuhl neben Frau Braun, sodass wir zwei Fronten bildeten und die Stirnseiten des Tisches frei blieben.

„Herr Holzner, ich möchte Sie nach den eben erledigten Formalitäten über den Ermittlungsstand aufklären. Zwischendurch werden wir Ihnen ein paar Fragen stellen. Ich freue mich auf Ihre Kooperation und muss auch einmal Ihre Mitarbeit loben“, begann Oberkommissar Fromm den Hauptteil unserer Versammlung.

„Danke“, sagte ich und unterdrückte ein mutloses Seufzen.

„Wir haben Ihr Wohnhaus, Ihre Werkstatt und Ihren Bagger durchsucht. Was haben wir Ihrer Meinung nach an Beweismaterial sichern können?“, fragte Frau Braun.

Beweismaterial auf meinem Grundstück?, schoss es mir durch den Kopf.

„Keines. Ich habe nichts mit dem Mord zu tun. Das war mein Bruder. Ich habe die Leiche ausgegraben und in der Truhe verwahrt. Mehr nicht“, sagte ich zum gefühlt hundertsten Mal.

„Wir haben eine blutverschmierte Taschenlampe gefunden. Die Tatwaffe, wie Sie uns mitgeteilt haben. Wie hat diese den Weg in Ihre Werkstatt gefunden?“

Mir gefror das Blut in den Adern. Benni hatte die Taschenlampe nicht einmal sauber gemacht und verräumt? Ein Schweigen machte sich im Raum breit.

Ich fand meine Stimme wieder, die sich brüchig anhörte, als ich meinte: „Er scheint es von langer Hand geplant zu haben …“

„Wie bitte?“, entgegnete Frau Braun.

„Mein Bruder. Er hat mir damals schon die Taschenlampe untergejubelt. Er hatte von Anfang an vor, mir den Mord anzuhängen“, sprach ich das Unglaubliche aus. Ich vermutete gleichzeitig, dass er meine DNA mit Caros Hilfe darauf platziert hatte.

„Sie wussten also seit dem Mord von ebendiesem?“

„Nein. Ich weiß seit unserem Gespräch vor einer Woche davon.“

Manchmal hatte ich das Gefühl, Frau Braun wollte mich mit Absicht falsch verstehen.

Sie machte sich Notizen auf ihrem kleinen Notizblock und klappte ihn danach wieder zu – ein Vorgang, den sie während des Gesprächs ständig wiederholte, damit das Geschriebene geheim blieb. Der Staatsanwalt verzog keine Miene. Der Blick meines Anwalts ließ auf einen leichten Schock schließen. Entweder aufgrund der Dreistigkeit meines Angehörigen oder wegen Frau Brauns Versuch, mir zurückgehaltene Informationen zu entlocken.

„Wegen Ihres Grabungsgewerbes haben Sie Firmenpullover anfertigen lassen. Ist das richtig?“, fragte Herr Fromm plötzlich.

Überrascht über den Themenwechsel stammelte ich: „Ja, mit meinem Logo hinten drauf. Ich habe Freunden einen geschenkt und selbst ungefähr zehn Stück behalten.“

„Wir haben einen davon mit Blutspuren in Ihrer Werkstatt gefunden.“

Benni, dieses Arschloch!

„Ja, das wird auch Benni gewesen sein. Oder Caro. Die beiden haben Zugang zu meiner Werkstatt. Haben Sie auch etwas in meinem Haus gefunden?“, fragte ich. Ich wollte wissen, wie hinterhältig die beiden wirklich waren.

„Sollten wir?“, fragte Herr Fromm, ohne meine Frage zu beantworten.

Ich schüttelte vehement den Kopf.

„Das untersuchte Blut gehört zum Opfer. Die Beweise sind belastend, Herr Holzner. Ihr Bruder ist weiterhin untergetaucht, und Ihre Ex-Freundin belastet Sie. Wissen Sie außerdem etwas, was uns oder vielmehr Ihnen helfen könnte?“, wollte der Oberkommissar wissen. Er schien an meine Unschuld, was den Mord anging, zu glauben.

„Eigentlich nicht. Ich kann nur nicht fassen, wie eiskalt die beiden sind“, äußerte ich mein Entsetzen und sah auf die Tischplatte vor mir. Also hatte sie doch von meinen Seitensprüngen erfahren und wollte sich an mir rächen.

Ich ging noch einmal in mich und rief mir die Unterhaltung ins Gedächtnis, mit der alles begonnen hatte. Die Blicke des Staatsanwalts und meines Verteidigers lasteten auf mir.

„Ich erinnere mich an etwas!“, rief ich mit einem Mal aus. „Benni hatte etwas von einem Nachbarn gesagt, der ihn mit der Schubkarre gesehen hätte. Vielleicht kann der weiterhelfen! Der war draußen zum Rauchen.“

Es war ein Hoffnungsschimmer, sollte es diesen Zeugen tatsächlich geben. Frau Braun wirkte weniger euphorisch, als sie sagte „Das werden wir tun. Sie kennen den Namen?“

Ich verneinte die Frage. Die Kommissarin machte sich erneut Notizen. Mit jedem verstreichenden Moment wurde sie mir unsympathischer.

„Kommen wir zu den Mikrospuren. Es wurde Ihre DNA am Leichnam und an der Tatwaffe gefunden. Wie erklären Sie sich das?“

„Das kann nicht sein. Ich habe den Körper nicht einmal gesehen! Sie müssen unbedingt Benni finden. Der hat dafür gesorgt, dass es danach aussieht, dass ich der Schuldige bin! Oder nehmen Sie Caro in die Mangel! Die weiß mehr, als sie zugibt.“

„Nun ja, Sie haben bereits das Ausgraben gestanden. Strafbar haben Sie sich demnach längst gemacht“, erinnerte mich die Polizistin.

„Was sagt denn Caro zu den Vorwürfen?“, wollte ich wissen. Vielleicht könnte man sie der Lüge überführen, wenn sie länger verhört würde.

„Sie belastet Sie. Frau Stemper berichtet von häuslicher Gewalt und anderen, sagen wir, Disharmonien in Ihrer Beziehung. Sie traue Ihnen den Mord zu und hatte wohl eine Vermutung. Diese habe sie aus Angst vor Ihnen nicht angesprochen. Aus dem gleichen Grund sei sie nicht zur Polizei gegangen.“

„Wie bitte? Sie hat mir eigenhändig geholfen, die Leiche in die Kühltruhe zu bugsieren!“

„Die Spuren Ihrer Ex-Freundin konnten wir nicht am Leichnam feststellen.“

Es war wie ein schlechter Scherz. War die Lage wirklich so ausweglos?

Dr. Kramp mischte sich ein. „Die Vermisstenmeldung wurde erst eine Woche, nachdem das Opfer zuletzt gesehen worden war, aufgegeben. Falls ein Zeuge gefunden wird und den genauen Tatzeitpunkt nennen kann, könnte Herr Holzner ein mögliches Alibi vorweisen. Derzeit ist die Zeitspanne, in die die Tat fällt, zu weit gehalten …“

Er richtete sich bei diesen Worten auf und wirkte sofort einige Zentimeter größer, als er tatsächlich war. „Das sehe ich als reale Chance an, meinen Mandanten diesbezüglich zu entlasten. Ist das korrekt, Herr Oberkommissar Fromm?“

„Das ist korrekt. An diese Chance würde ich mich heften, Herr Holzner“, sagte er zu mir gewandt.

Erneut machte sich in meinem Magen Übelkeit breit. Ich erwiderte nichts, sondern warf einen Blick zu Herrn Pozniak, dem Staatsanwalt. Er nahm den Raum trotz der Rolle eines Zuhörers ein.

Schließlich sagte er: „Denken Sie daran, dass Ihre Kooperation den Unterschied zwischen einer lebenslangen Haftstrafe und einer reduzierten Strafe bedeuten kann. Falls Sie uns darüber hinaus etwas mitteilen wollen, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.“

Der Druck war ungeheuerlich. Ich wünschte, ich könnte zu allem etwas hinzufügen. Dem war jedoch nicht so.

Die Vernehmung wurde daraufhin beendet. Mein Anwalt und ich blieben zurück und sprachen über die verbliebenen Möglichkeiten, mich aus der misslichen Lage zu befreien. Schnell stellte sich heraus, dass auch das Auffinden meines Bruders keine Rettung bedeuten würde. Wenn er schwieg oder mich sogar belastete, wären mir die Jahre hinter Gittern sicherer denn je. Wir konzentrierten uns darauf, etwaige Zeugen zu finden und zu hoffen, dass ich ein Alibi vorweisen konnte.

Zu der Zeit des Mordes war ich längst nicht mehr bei meinem alten Arbeitgeber angestellt gewesen und hatte viel Zeit im Büro bei mir zu Hause verbracht. Deswegen bestand meine Aufgabe in den nächsten Tagen darin, alle Termine und Orte aufzuschreiben, die ich in der ersten Maiwoche besucht hatte. Dafür galt es dann, Zeugen zu finden. Mein Anwalt oder Karl, wie ich ihn fortan nennen durfte, würde bei der Polizei Druck machen und die Nachbarn des Grundstücks aufsuchen lassen. Wenn wir eine Überschneidung fänden, könnte mich diese zumindest teilweise entlasten. Missmutig verabschiedete ich meinen Rechtsbeistand und ließ mich zurück zu meinem Haftraum bringen.

 

Bereits am nächsten Tag betrat Karl aufs Neue die JVA. Er überbrachte mir die ernüchternde Nachricht, dass das Haus, in dem der mögliche Zeuge wohnte, mit Ferienwohnungen ausgestattet war.

Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Nordheim bot seinen Gästen zahlreiche Ferienwohnungen und ganze Häuser, damit sie das Dorfleben hautnah erfahren konnten. Gerade Gästestuben in Weingütern waren sehr beliebt.

„Mark, wir tun alles, um die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen“, ermutigte Karl mich, als er mir im Besucherraum gegenübersaß und ich ihm meine Aufzeichnungen der ersten Maiwoche rüberschob. Seine schmalen Lippen presste er zusammen und rang sich ein Lächeln ab, was ihm nicht ganz gelang. Er trug ein dunkles Hemd und eine helle Stoffhose, die seinen Beruf nicht verrieten. Doch nicht allein seine Kleidung wirkte auf mich sympathisch. Seit Beginn meines Auftrages hielt er sich an sein Wort und glaubte fest an meine teilweise Unschuld.  

Er begann, die Aufzeichnungen in seiner Hand zu lesen. Am Ende der Seite angelangt, lächelte er erleichtert, hob den Kopf und bemerkte meinen fragenden Blick.

„Danke. Die sehen sehr detailliert aus. Es gibt im Übrigen Neuigkeiten. Ich habe heute Morgen erfahren, dass Benni gefasst wurde.“

„O mein Gott! Was sagt er?“ Ich richtete mich auf dem harten Holzstuhl auf.

„Das, was ich weiß, bestätigt unsere Vermutung. Er belastet dich. Einzelheiten durfte ich noch nicht erfahren.“

„Ich hätte nie gedacht, dass er so übel drauf ist. Klar, hier und da was Illegales. Aber unsere Familie auf diese Art zu zerstören?“

„So ein Fall ist mir bislang auch nicht untergekommen.“

„Was bedeutet es, wenn er mich nun belastet?“

„Die Polizei wird in alle Richtungen ermitteln. Ich kann dir nicht sagen, wie sie die Beweise auslegen. Immerhin zeichnen diese ein widersprüchliches Bild. Wenn er alles sauber angestellt hat, werden Aussagen und Beweise für deine Schuld sprechen. Was für ein Motiv könnte er haben?“

„Scheiße. Ich kann nur vermuten, dass es um das Erbe unserer Eltern geht. Wenn er mich aus dem Weg hätte, bliebe mehr für ihn übrig. Er müsste mich nicht auszahlen.“

„Erbschaft ist ein häufiger Streitpunkt. So gesehen kannst du froh sein, dass du nicht dran glauben musstest“, erwiderte Karl mit abschätzigem Blick und zuckte mit den Achseln. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Er hatte recht: Benni ging offensichtlich über Leichen.

Mein Fürsprecher fügte hinzu: „Die Polizei arbeitet derzeit mit Hochdruck an eurem Fall. Die Zeitungen haben diesen ebenfalls aufgegriffen. Als ich vorhin bei der Fundstelle war, standen Leute am Grundstück und drängten sich an die Absperrung, um zu gaffen. Der Aufruhr bei den Nordheimern und den Touristinnen und Touristen ist so groß, dass die Polizei die ganze Straße abgesperrt hat.“

„Das heißt, es bleibt uns nichts weiter als das Abwarten übrig?“, fragte ich.

„So sieht es aus.“

Karl und ich verabschiedeten uns mit einem Händedruck, den ich nur mit Mühe kräftig erwidern konnte.

 

Die Tage im Haftraum zogen sich endlos hin, jeder Tag glich dem anderen – ein stetiges Warten, Hoffen und Bangen. Als mein Anwalt eine Woche später wieder in die JVA Würzburg kam, war sein Gesichtsausdruck vorsichtig optimistisch. Nichtsdestotrotz lag in seinen Augen eine Spur von Erschöpfung, die von einer langen, anstrengenden Suche zeugte.

„Es gibt gute Nachrichten“, sagte er und setzte sich mir gegenüber. Sein Lächeln war gequält, als wären die Worte, die er sprach, hart erkämpft. „Sie hatten Schwierigkeiten, den rauchenden Nachbarn zu finden. Du erinnerst dich, der mögliche Zeuge, den Benni erwähnt hatte?“

Ich nickte. Natürlich erinnerte ich mich.

„Das Haus, von dem Benni gesprochen hatte, war in der Woche voll mit Feriengästen. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Es war kompliziert, aber die Polizei hat schließlich eine Liste aller Gäste erstellt, die in der besagten Woche dort waren.“

Karl machte eine kurze Pause und nahm einen Schluck Wasser. „Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Jeder einzelne musste kontaktiert und befragt werden. Einige Gäste konnten sich kaum an einen spezifischen Abend erinnern, geschweige denn an eine Person mit einer Schubkarre.“

Er senkte kurz den Blick, bevor er fortfuhr. Aufregung flammte in mir auf. Kam endlich meine Erlösung? Warum machte es mein Verteidiger dermaßen spannend?

„Letztendlich haben sie ihn vor einigen Tagen gefunden: einen Mann, der sich genau erinnert. Er war draußen, um zu rauchen, und konnte das exakte Datum und die Uhrzeit nennen. Es war gegen 1 Uhr 10 am dritten Mai.“

Karl sah mich mit seinen grünen Augen direkt an.

Mein Herz setzte einen Schlag aus. „1 Uhr 10 am dritten Mai?“, wiederholte ich leise. Das war der Schlüssel. Es war der Hochzeitstag meiner Eltern gewesen, und ich erinnerte mich auch ohne meine Alibiliste an die Ironie von diesem Abend. „Das Date … Ich habe Caro betrogen. Direkt nachdem ich meinen Eltern per Textnachricht zum Hochzeitstag gratuliert hatte“, sagte ich, während ein Gefühl der Scham durch meinen Körper strömte. Karl nickte, seine Augen strahlten eine Mischung aus Erleichterung und Stolz aus.

„Wer hätte gedacht, dass das Motiv deiner Ex-Freundin gleichzeitig dein Alibi sein würde“, meinte er und schmunzelte vor sich hin. „Die Dame, die du besucht hast, bestätigt, dass du zu diesem Zeitpunkt bei eurer Verabredung warst. Sie hat sogar ein Video ihrer Überwachungskamera an der Haustür, um das zu belegen. Deine Unschuld am Mord steht außer Frage. Die Polizei hat ihre Ermittlungen inzwischen neu ausgerichtet.“ Karl lehnte sich nach diesem Satz auf seinem Stuhl zurück und atmete tief durch.

„Bist du dir ganz sicher?“

„Definitiv. Der Zeuge war so verwundert, dass er seine Beobachtung in seinem Tagebuch vermerkt hat. Außerdem waren auch Fromm und Braun sehr akribisch, was ich anhand ihrer Akten sehen konnte.“

Ein gewaltiger Stein fiel mir vom Herzen.

„Und was bedeutet das für Benni?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort erahnen konnte. Trotz allem, was geschehen war, empfand ich Mitleid für ihn.

Karl lehnte sich wieder nach vorn, was mir zeigte, wie ernst die Lage war.

„Als sie den besagten Zeugen fanden, änderte sich der Fokus der Ermittlungen dramatisch. Die Polizei beschäftigt sich derzeit intensiv mit Benni und hat schon jetzt entscheidende Beweise gefunden. Er scheint auch in andere Straftaten verwickelt zu sein.“

„Was für Beweise?“, fragte ich. Mein Puls beschleunigte sich bei dem Gedanken an das, was als Nächstes auf meinen Bruder zukam.

„Zunächst haben sie die Taschenlampe gründlicher untersucht. Benni hat vergessen, seine Fingerabdrücke auf den Batterien zu entfernen. Das war allerdings erst der Anfang“, erklärte Karl.

„Erzähl weiter“, drängte ich.

„Es gab Inkonsistenzen in seinen Aussagen. Sie haben kürzlich Videomaterial von einer Überwachungskamera der Genossenschaft eingesehen. Doch auf den Aufnahmen bist nicht du zu sehen, wie die liebe Frau Braun zunächst wegen des Firmenpullis, den die Peron trägt, vermutete. Man erkennt allerdings beim genaueren Hinsehen Benni an seiner schmalen Statur. Dein Bruder hat aber behauptet, geschlafen zu haben.“

Karl machte eine Pause. Ich ließ die Informationen auf mich wirken und erinnerte mich an die Beweislast gegen meine Person.

„Und seine DNA, hat er die irgendwo hinterlassen?“

„Das war der ausschlaggebende Punkt. Bennis genetischer Fingerabdruck wurde an Orten gefunden, die er in seiner Version der Geschehnisse nicht erklären kann. Zum Beispiel an der Innenseite der Plane, worin die Leiche eingewickelt war. Auch hat die Spurensicherung den Eingang seiner Werkstatt und das Waschbecken unter die Lupe genommen und Blutspuren gefunden. Es war, als hätte er versucht, die Spritzer zu entfernen. Dabei war er anscheinend nicht gründlich genug.“

Ich saß da, unfähig, die Tragweite dessen, was Karl sagte, vollständig zu erfassen. Mein Bruder, der Mann, mit dem ich aufgewachsen war, hatte ein so gefährliches und tödliches Spiel getrieben. Und ich war fast sein Opfer geworden.

„Was wird mit ihm passieren?“

„Er wird wegen Mordes oder Totschlages angeklagt. Die Beweise sind eindeutig. Sein Versuch, dir die Tat anzuhängen, ist gescheitert. Jetzt muss er sich seiner Verantwortung stellen.“

Das Gespräch drehte sich noch eine Weile um die technischen Aspekte des Falls. Währenddessen waren meine Gedanken ganz woanders. Ich dachte an Benni, an unsere Kindheit, an die vielen Momente, die wir geteilt hatten. Und jetzt das. Es war, als hätte ich meinen Bruder nie wirklich gekannt.

Kurz vor unserer Verabschiedung äußerte mein Anwalt: „Es gibt eine weitere Sache.“ Er sah mich direkt an. „Das Ausgraben der Leiche. Du hast gestanden, sie ausgehoben und in der Kühltruhe verwahrt zu haben. Das ist eine Straftat.“

Mir wurde klar, dass ich entgegen meiner Unschuld am Mord nicht völlig frei von rechtlichen Konsequenzen sein würde.

„Was erwartet mich?“

„Wir werden darauf hinarbeiten, dass deine Rolle als unwissentliches Opfer von Bennis Manipulationen anerkannt wird. Deine Kooperation mit der Polizei und die Tatsache, dass du unter seinem Druck gehandelt hast, werden dabei eine Rolle spielen. Dennoch wird es ein Verfahren geben. Du musst dich darauf vorbereiten.“

 

Die nächsten Tage waren eine Mischung aus Erleichterung und Angst vor dem, was kommen würde. Als der Tag meines Verfahrens schließlich da war, fühlte ich mich wie in einem Traum. Karl war an meiner Seite, als wir das Würzburger Gerichtsgebäude betraten.

Der Prozess, der über meine Zukunft entscheiden sollte, begann in einer angespannten Atmosphäre. Mein Anwalt verteidigte mich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Fachkompetenz. Er malte das Bild eines Mannes, der unter dem enormen Druck eines manipulativen, geldgierigen Bruders stand, der ihn in seine finsteren Machenschaften hineingezogen hatte.

Doch Staatsanwalt Pozniak, der Mann mit eisiger Miene und mit scharfem Blick, ließ kein Mitgefühl für meine Situation erkennen. Er präsentierte mich als jemanden, der trotz des Drucks von außen die Wahl gehabt hätte, anders zu handeln. Jedes meiner Argumente schien an ihm abzuprallen wie Regentropfen an einer Fensterscheibe.

Als das Urteil verkündet wurde, war es strenger, als ich gehofft hatte, aber milder, als es hätte sein können. Ich erhielt eine Bewährungsstrafe und die Auflage zu gemeinnütziger Arbeit. Ein Preis, den ich zu zahlen hatte – nicht nur für meine Naivität, sondern auch für die fehlende Standhaftigkeit gegenüber meinem Bruder.

Mit gemischten Gefühlen verließ ich das Gerichtsgebäude. Die Freiheit, die mir zurückgegeben wurde, fühlte sich bittersüß an. Abgesehen von den Nachbarn, deren Vertrauen ich zurückgewinnen wollte, gab es etwas Dringendes, das ich tun wollte: Ich musste mit meinen Eltern sprechen.

Der Gedanke daran, ihnen gegenüberzutreten, erfüllte mich mit Scham und Schmerz. Ich musste ihnen alles erklären, ihre Fragen beantworten und ihnen beistehen. Es würde das Schwerste sein, was ich je in meinem Leben getan hatte. Schwerer sogar als das Ausgraben der Leiche …